Seit meinem letzten Bericht ist ganz schön viel passiert. Obschon dieser nicht mal eine Woche her ist. Der Aufenthalt in Rappoltenkirchen gestaltet sich abwechslungsreich. Schon vom Wetter her. Sonne, Regen, Wind, Gewitter - von allem etwas. Nur die Temperatur ist gleichmässig und relativ angenehm. So um die 20-25 Grad. Gut dass ab und zu die Sonne hervorbricht. So kann ich per Fahrrad das Dorf mit Kirche, Dreifaltigkeitssäule, dem alten Volksschulhaus und vielem mehr erkunden, sowie nach Sieghartskirchen einkaufen gehen.
Ich lerne meine Leute persönlich kennen. Zuerst Helmut Jessl, der sich rührend um mich kümmert. Wir sitzen jeden Tag 1-2 Stunden zusammen und quatschen. Dabei schleppt er immer mehr dicke Wälzer an. Mit vielen Stammbäumen, Text-Ausschnitten und Bildern. Gerade während der "Regenzeit" bin ich sehr froh drum. Sie verkürzen die Zeit enorm. Und liefern eine Menge neuer Information.
Danach das Schlossbesitzer-Ehepaar. Wir treffen uns abends ganz zwanglos im Dorf-Gasthaus zu Burger und Bier. Und genau so unkompliziert besichtigen wir danach das Schloss. Dabei weiss der Mann unheimlich viel zu erzählen. Über Vergangenes, seine Pläne und den damit verbundenen Aufwand. Sie haben das Schloss 2007 gekauft, wohnen aber heute immer noch im ehemaligen Verwalter-Gebäude. Und das eigentliche Schloss macht eher den Eindruck einer "ewigen" Baustelle als einer zukünftigen Wohnung. Naja, nicht ganz. Einiges ist schon zu erkennen. Ziel ist es offensichtlich, das Erscheinungsbild möglichst detailgetreu zu erhalten. Dabei ist der Schlossherr akribisch bis pingelig. So werden z.B. Farben wie seinerzeit mit Glasstaub aus speziellem Muranoglas versetzt oder Handwerker, die lieblos arbeiten, kurzerhand entlassen. Er ist aber auch fantasievoll, kreativ und praktisch bei der Planung sowie in der Lösung von auftauchenden Problemen. Bodenbewegungen wird einfach durch ein Betonfundament, das nachträglich unter das gesamte Schloss gezogen wird, begegnet. Auf die Bemerkung des Baumeisters, dass so der Bau mindestens 250 Jahre halten werde, meint er trocken und schlagfertig: "Schade, dass ich vermutlich nur noch 249 Jahre und 11 Monate leben werde"!
Hinter dem stilgerechten Äusseren versteckt sich aber modernste Haustechnologie: eine Wärmeaustausch-Heizung-Kühlung, überall verfügbare Elektrisch-, WLAN- sowie Kabel für elektronische Steuerung und Sicherung, moderne Küchen und Bäder usw.. Viel Aufwand natürlich. Zeitlich wie finanziell. Kein Wunder: das Ende "will und will nicht werden". Obschon das eine oder andere dabei einfach warten muss. So beispielsweise das Mausoleum oder die vom dänischen Architekten Hansen (verantwortlich auch für die Architektur vieler Gebäude an der Ringstrasse in Wien) beim seinerzeitigen Schlossumbau erstellten Palmenhaus und Treibhäuser. Der Umbau fand übrigens 1869-74 statt. Ausgeführt wurde die Aufstockung des Schlosses um 1 Etage (für Angestellten-Zimmer!), eine Überdachung des Innenhofs mit einem Glasdach, sowie der Bau einer Prunktreppe und von Galerien auf jeder Etage im ehemaligen Innenhof. Da es langsam dunkel geworden ist, kann ich leider keine Fotos mehr schiessen. Kurzerhand drückt mir der Schlossherr den elektronischen Schlüssel zum Eingangstor und einen uralten Schlüsselbund mit riesigen Schlüsseln (zum Mausoleum) in die Hand. Ich solle morgen wieder kommen, nochmals in Ruhe alles anschauen und dann meine Bilder machen.
Entsprechend bin ich heute hin. Zum Besuch im Schloss und Mausoleum habe ich Helmut Jessl, den dies sehr gefreut hat, mitgenommen. Natürlich mit vorheriger Absprache. Und tatsächlich, das Mausoleum mit seiner reichen griechisch-orthodoxen Kapelle, dem Totenraum der Sinas im Inneren sowie der Ypsilantis-Gruft im Aussenbereich wirkt vernachlässigt. Dach, Fassade und Fenster weisen einen hohen Renovationsbedarf auf. Und die Kapelle dürfte ebenfalls aufgefrischt werden. Im Dachstock dagegen hätten Zimmermänner am Fachwerk, Fledermaus-Forscher an den weit über 100 Fledermäusen und Ornithologen an den Turmfalken-Jungen ihre helle Freude.
Die einzige Bezugsperson, die ich leider noch nicht kennen gelernt habe, ist die nette und hilfsbereite Mitarbeiterin der Gemeindeverwaltung, die mir alle diese Kontakte einfädelte. Und die sich in der Zwischenzeit als Amtsleiterstellvertreterin herausgestellt hat. Am Samstag werde ich dies nachholen. Ich habe dann nämlich die ganze Truppe zum Dank auf ein Abendessen eingeladen.
Wie sieht es jetzt aber mit meinen Nachforschungen aus? In dieser Sache bin ich nicht viel weiter gekommen. Ausser dass ich vermutlich die Ypsilantis definitiv ausschliessen kann. Der Hauptharst der Familie ist schon im 17. Jhdt. von Trapezunt weg nach Konstantinopel gezogen. Und von den bekannten Ypsilantis gäbe es in der passenden Generation nur Fürst Gregor, der in Frage käme. Von dem ich aber früher schon festgestellt habe, dass er unmöglich der Vater meiner Grossmutter sein kann (er starb 1886, während meine Grossmutter 1890 geboren wurde!). Es besteht also nur noch die unwahrscheinliche Option eines völlig unbedeutenden Nebenzweigs. Über weibliche Nachkommen, die dann natürlich einen anderen Namen tragen würden. Aber auch hier scheint weit und breit niemand in Sicht.
Das heisst, ich muss andere Wege suchen. Drei Richtungen bieten sich an. Die Nachforschung, wo genau sich meine Grossmutter zwischen ihrem 18. und 21. Lebensjahr in Bukarest aufgehalten hat. War sie vielleicht bei ihrem leiblichen Vater? Eine Recherche zu den Familien Aperio aus Castro Gonio und Bonelli aus Malta. Gibt es da einen adeligen Hintergrund? (Nur wären dann ja alle Kinder der Brändlis "speziell" - nicht nur meine Grossmutter.) Gibt es einen anderen Adeligen aus dem ganzen "Griechen-Klüngel", der in der fraglichen Zeit Trapezunt frequentierte und in Bukarest lebte? Denn unter "Den Griechen" hat man ja seinerzeit nicht nur Hellenen verstanden, sondern die rund 25 bis 40 prominenten Familien, welche die Geschicke eines grossen Einflussbereiches (von Triest über den ganzen Balkan, Albanien, die Anrainerstaaten des Schwarzen Meers, die Levante, Georgien, Armenien, Aserbeidschan, Nord-Iran) mit gelenkt haben. Ihre Herkunft konnte aus dieser ganzen Region sein. Die Gemeinsamkeit bestand in der Zugehörigkeit zur Griechisch-Orthodoxen Kirche und im zeitweiligen Wohnsitz im Phanar-Quartier von Konstantinopel (einem politischen Machtzentrum dieser Zeit). Ihre Clan-Chefs boten sich sozusagen als "Miet-Fürsten" für all die kleinen regionalen Fürstentümer an. Ihre Fähigkeit zeichnete sich durch geschicktes Lavieren (Mauscheln - durchaus auch im eigenen Interesse) zwischen den damaligen Machtblöcken Osmanisches Reich, dem Zarenhof in Russland, der k.k. Monarchie in Wien und auch dem Preussischen Kaiserreich aus. Viele dieser Familien sind damit sehr reich geworden.
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