02 Mar
02Mar

Es gibt Leute, die halten mich für verrückt. Mit dem Wohnwagen monatelang unterwegs. Im nahen und fernen Osten. Allein. Mit 76! 

Wobei: so ganz unrecht haben die schon nicht. Ich wäre eigentlich auch lieber zu zweit unterwegs. Man könnte vieles teilen: die Planung, die Vorfreude, all die Erlebnisse - die erfreulichen wie auch die anderen -, den ganzen Aufwand, die Kosten und auch die Erinnerungen. Man könnte sich gegenseitig mit-teilen, austauschen, unterstützen, miteinander lachen und vielleicht auch mal weinen. Nur: ich suche jetzt schon seit längerer Zeit jemanden, der mitkommen möchte. Leider klappt es aber nie. Altersgenossen beiderlei Geschlechts sind eher träge und bequem. Sagen tun sie "So was habe ich doch nicht mehr nötig", meinen allerdings "Ich traue mir das nicht mehr zu". Und ich merke, wenn ich im Leben meine Ideen noch umsetzen will, muss ich damit anfangen. Selber. Allein. Jetzt!

Schliesslich bin ich ja erst 76. Und immer noch neugierig. Gespannt darauf, was das Abenteuer "Leben" als nächstes für mich in petto hält. Zur Zeit interessieren mich besonders meine diversen Herkunfts-Familien. Das war zwar schon immer so, aber die eine Wurzel meines Stammbaums hat sich bis vor kurzem gut versteckt. Natürlich die vermutlich interessanteste. Wieso sonst wurde in der Familie darum herum so ein Geheimnis gemacht? Wieso war das Gespräch darüber tabu? Seit einem Jahr erst weiss ich mehr. Dank Internet. Fragen kann ich ja niemanden mehr. Alle, die "in Frage kämen", sind tot.

Nun: was weiss ich eigentlich? Meine Urgrossmutter war eine Ypsilanti. Stammt also aus einer griechischen Fürstenfamilie mit Stammbaum bis ins Jahr 1064. Wohnhaft in der Türkei: Stammsitz in Trapezunt (Trabzon), Arbeitssitz in Konstantinopel (Istanbul). Fürsten der Moldau und der Walachei (das Fürstentum umfasste die heutige Republik Moldau, das heutige Rumänien und kleine Teile im Süden der heutigen Ukraine - gesamthaft etwa die Grösse des heutigen Deutschland). Mit guten Beziehungen zum Zarenhof in Moskau (5 Ypsilantis waren Generäle im Russischen Heer, davon 2 Feldmarschall), zum königlich-kaiserlichen Hof in Wien (mehrere Ypsilantis waren Gesandte des griechischen Königshofes in Wien) und natürlich zum griechischen Königshof (Alexander und nach dessen Tod sein Bruder Demetrios Ypsilantis befreiten als Feldmarschalle des russischen Heers Griechenland von der türkischen Besatzung, Heirat eines Ypsilantis mit einer griechischen Prinzessin). Spannend, nicht wahr? Nur schon bis hierher.

Meine adelige Urgrossmutter heiratete einen bürgerlichen Brändli. Seines Zeichens ein reicher Schweizer Teppichhändler in Trapezunt (oder Konstantinopel - nicht ganz klar). Zusammen hatten sie 4 Kinder: meine Grosstante Margaretha (Maggie), meine Grosstante Stephanie (Steffi), meine Grossmutter Bertha und meinen Grossonkel Ernst (Ernest). Alle lebten sie gut. In Trapezunt - am Stammsitz der Ypsilantis. Bis eines Tages eine Schiffsladung voller Teppiche im Meer versank. Bestimmt für meinen Urgrossvater und dummerweise nicht versichert. Über das, was dann genau passierte, wurde hermetisch geschwiegen. In einer Armee würde es vermutlich heissen: der (inzwischen total verarmte!) Brändli ist unehrenhaft entlassen worden. Auf jeden Fall tauchte dieser mit 3 seiner Kinder kurz darauf bei Freunden in der Schweiz auf, während die Mama offenbar in Trapezunt blieb. Und ab da wurde nie mehr über die Ypsilantis geredet. Wir Kinder wussten nur, dass Omama aus griechischem Adel stammte und dass wir besser nichts Näheres erfragen sollten. Einzig dass mir meine Grossmutter in einem schwachen Moment selber verriet, dass sie als Kleinkind in Trapezunt in einem Herrschaftssitz aufgewachsen sei, den Eltern (vor allem der Mutter) "Sie" sagen musste, reiten durfte, ja sogar ein eigenes Pferd hatte und dass es für sie damals das Schlimmste war, von ihrer geliebten Stute Abschied nehmen zu müssen. Nebst natürlich der Tatsache, dass sie in ihrer neuen Heimat Schweiz am Anfang sprachlich völlig verloren war (Vermutlich ja nicht nur sprachlich!). Man spürt vielleicht, dass ich meine Grossmutter sehr gerne hatte. Und sie mich auch. Sie war für mich eine unerschöpfliche Quelle des Wissens. Ich für sie der kleine aufgeweckte Enkel, den sie förderte und forderte. Dem man schon mit 4 Jahren die Uhr, das Lesen, Schreiben, Rechnen und vieles weiteres beibringen konnte (Omama war Lehrerin!). Den man mit in die Ferien nahm, mit Büchern versorgte sowie eine Uhr schenkte. Nicht eine Uhr vom Trödel. Nein, eine aus der Schmuck-Schatulle - eine goldene Omega. Schade, ist meine Grossmutter so früh gestorben. Sie wurde nur 62 Jahre alt und ich war bei ihrem Tod gerade mal 8.

Einige wichtige Fragen in der Familiengeschichte bleiben allerdings immer noch offen: Wer war meine Urgrossmutter genau? Wie lautete ihr Vorname, wie gehörte sie in den Stammbaum der Ypsilantis, wann wurde sie geboren, wann starb sie? Hat sie nochmals geheiratet und existieren aus dieser Ehe Halb-Verwandte von mir? Was ist aus meiner Grosstante Steffi geworden? Gibt es von ihrer Seite her Verwandtschaft, die ich noch nicht kennen lernen durfte? Über diese Fragen hinaus interessieren mich zwei Dinge besonders: Die allgemeine Geschichte der Ypsilantis vom 18. bis zum 20. Jhdt. sowie Orte und Länder, die eng mit den Ypsilantis verbunden sind. In der geplanten Reise will ich all diesen Schwerpunkten nachgehen. Und hoffe, danach wieder etwas mehr von meinen Wurzeln zu verstehen.

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