Ich bin völlig ko. Das war ein harter Tag. Aber auch ein sehr schöner. Ein Ritt von über 100km mit dem Stahlross. Mit durchschnittlich 25 km/h. Wie eine Uhr. Bis zum Schluss. Das Kloster Maria Schutz. Pater Arsenios, den ich als Fremder kennenlernte und als Freund verliess. Ein böser Sturz. Ein hilfreiches Ehepaar. Aber alles schön der Reihe nach.
Der Morgen fängt gut an. Die Sonne scheint und es dürfte heiss werden. Ich will früh los. Auf dem Weg zur Dusche fallen mir drei Dinge auf: ein blaues Libellen-Paar, das sich selbstvergessen im Flug paart; eine "kugelrunde" Frau, die mit ihrer hautengen Kleidung hemmungslos ihres Rundsein zelebriert; eine junge Frau, die missmutig auf ihren Schwangerschaftstest schaut (ob sie betrübt ist, weil sie schwanger oder eben immer noch nicht schwanger ist, weiss ich nicht). Was das wohl bedeutet? Hobby-Psychologen oder Kaffeesatz-Leser werden es mich sicher über einen Kommentar wissen lassen.
Zügig geht es Richtung Mörbisch. Ich will auf eine möglichst frühe Fähre nach Illmitz. Am Fährhafen drängen sich schon die Leute. Das schöne Wetter nach den beiden Regentagen lockt alle. In Illmitz radeln glücklicherweise die meisten dem See entlang, nord- oder südwärts. Mein Ziel liegt im Landesinneren. Das griechisch-orthodoxe Kloster Maria Schutz in Sankt Andrä. Durch die Puszta geht es erst zur Langen Lacke. Ein schilfbewachsener Tümpel mitten in der Steppe und ein Vogelparadies. Hier tümmeln sich jede Menge Wasservögel wie Läufer, Löffler und Rallen. Vor allem aber Silberreiher und Wildgänse. Wieder einmal muss ich feststellen, dass die Radwege schlecht markiert sind. Was einfach zu Umwegen führt. Bei der brennenden Sonne und über 30 Grad nicht gerade erwünscht. So erreiche ich den Zicksee später als vorgesehen. Auch hier massenweise Vögel aller Arten. Am See halte ich mich nicht lange auf. Das kann ich auf dem Rückweg tun. Mich zieht es weiter zum Kloster. An dessen Eingang hängt eine Tafel: Besichtigung nur Samstag und Sonntag. Heute ist Montag! Mist. In diesem Moment geht das Garagentor nebenan auf und ein Arbeiter kommt heraus. Ich frage, ob ein Besuch des Klosters heute wirklich nicht möglich sei. Dieser ruft auf Griechisch etwas in die Garage hinein. Und dann taucht Pater Arsenios auf. Der aussieht wie mein Bruder Peter mit 25-30 Jahren. Und der mich herzlich begrüsst und zu einer persönlichen Führung einlädt. Nach dem Rundgang setzen wir uns an den grossen Steintisch im lauschigen Innenhof, trinken Wasser aus einem alten Krug und beginnen intensiv über Gott und die Welt zu diskutieren. Natürlich mehr über Gott. Schliesslich ist er ja Priester. Aber auch über "Die Griechen", das Königreich Pontos, das Kaiserreich Trapezunt. Und schliesslich erfahre ich auch einiges über ihn. Er ist Grieche, kommt aus Thessaloniki und möchte gerne mal in ein Schweizer Kloster. Wobei ich nicht einmal weiss, ob es in der Schweiz überhaupt griechisch-orthodoxe Klöster gibt. Zum Abschied schenkt mir Pater Arsenios ein Heiligenbildchen der Johanna. Ich lege etwas in den Opferstock und verspreche ihm, mich um das Schweizer Kloster zu kümmern. Wenn Corona nicht wäre, würden wir uns jetzt umarmen. Gekommen bin ich als Fremder und gehe als Freund. Ein tiefes Erlebnis.
Auf dem Rückweg mache ich am Zicksee in einem Garten-Restaurant Halt. Das Kloster sowie das Gespräch mit Pater Arsenios hallen nach. Dann muss ich mich beeilen. Denn ich will nicht erst auf die letzte Fähre kommen. Da dürfte der Andrang gross sein. Ich trete in die Pedalen. Und stelle halt wieder einmal fest, dass eine Schotterpiste keine Rennbahn ist. In einer leichten Linkskurve rutscht plötzlich mein Vorderrad weg und - es geht ganz schnell - ich liege am Boden. Das alleine ginge ja noch. Nur, meine ganze rechte Seite (Hand, Ellenbogen, Knie) sieht ziemlich lädiert aus. Aufgeschürft, blutend. Und in der linken Rippengegend (wo ich auf den Lenker gefallen bin) schmerzt eine leichte Prellung. Glück im Unglück: ein Ehepaar ist zur Stelle. Und die Frau hat ein Notfall-Set im Gepäck (Hatte da die Heilige Johanna - ölend und salbend - ihre Hand im Spiel?). Mit dem richtigen Material kann ich meine Hand und mein Knie selber versorgen, beim Ellenbogen bin ich auf Hilfe des Mannes angewiesen. Er macht das zwar etwas ungeschickt, aber mit viel Hingabe. Ich bedanke mich herzlich. Das Rad ist glücklicherweise unversehrt. Ich steige wieder auf und zische los.
Knapp erreiche ich die zweitletzte Fähre. Von mehreren Leuten werde ich befremdet gemustert. Egal, ich will zurück zum Wohnwagen, meine Wunden reinigen und desinfizieren. Schon auf der Überfahrt sieht man, wie sich ein Gewitter über die Hügel (Berge kann man das ja nicht nennen) Richtung See schiebt. Kein gutes Omen für die letzten 10km bis Oggau. Ein deutsches Ehepaar, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin, wünscht mir noch "Trockene Heimfahrt" - und schon fallen die ersten Tropfen. In der Zwischenzeit weiss ich, dass Gewitter hier nicht lange dauern. Daher stelle ich mein Rad und mich in der "Alten Schmiede" in Rust unter und genehmige mir halt noch ein Bierchen. Zurück komme ich dann relativ ungeschoren. Ich bin todmüde, aber Wundversorgung muss noch sein. Meine zerrissenen und blutverschmierten Rad-Handschuhe kann ich dabei gleich wegwerfen. Gut, habe ich Ersatz dabei.
Wie schon gesagt: ein reicher, wenn durchaus auch strenger Tag!