Die Odyssee durch die Ämter hat sich gelohnt. Geheimnisse um meine Urgrosseltern Brändli sind - zumindest teilweise - gelüftet.
Einiges hat sich bestätigt, anderes überhaupt nicht, weiteres bleibt offen. Die Suche geht also weiter. Und für Spannung ist gesorgt.
Angeregt zu einer Recherche in den Archiven des Staates und der Kirche hat mich Helmut Jessl. Der Hobby-Historiker aus Rappoltenkirchen (siehe Seite "Die Planung macht Fortschritte"). Meine erste Anfrage geht dabei ans Staatsarchiv des Kantons Zürich. Da ich weiss, dass der gesuchte Brändli 1901/02 mit 2 Töchtern und 1 Sohn in Zürich an der Hofwiesenstrasse gewohnt hat, verweist mich dieses ans Stadtarchiv von Zürich. Wo ich die Auskunft erhalte, dass mein Urgrossvater Stephan hiess und Bürger von Thalwil war. Und dass daher für alle Angaben zu seiner Familie das dortige Zivilstandsamt zuständig sei. Thalwil wiederum meint, dass die entsprechenden Dokument-Kopien bereits im Staatsarchiv gelagert würden, weil sie über 100 Jahre alt seien. Damit ist die Rundreise komplett. Immerhin erhalte ich auch Angaben zur Suchnummer, sodass der Rest keine Hexerei mehr ist. 2 Tage später bin ich stolzer Besitzer des kopierten Familien-Büchleins von Stephan Brändli.
Damit beginnen überraschende Entdeckungen. Stephan Brändli war ein Kaufmann aus Thalwil, wohnhaft in Trapezunt, mit einem Teppichhandel in Konstantinopel. So weit so gut. Verheiratet mit Clementina Aperio. Deren Vater Pontosgrieche war - wie die Ypsilantis - und deren Mutter aus Malta stammte. Pontos-Griechen nennt sich übrigens die Griechenkolonie in der historischen Landschaft Pontos rund ums Pontosgebirge. Mit der von ihnen gegründeten Hauptstadt Trapezunt. Im Verlaufe der Zeit eine mal grössere, mal kleinere, immer aber verschworene Gemeinschaft. Auf dem Höhepunkt bildeten sie das Königreich Pontos. Mit Ausdehnung westlich bis nach Mazedonien, östlich über den Kaukasus, Georgien, Armenien bis nach Russland. Später das Kaiserreich Trapezunt. Im Osmanischen Reich wurden die Pontier von den Türken verfolgt und 1923 nach Griechenland repatriiert. Mit anderen Worten: Die Brändlis und Ypsilantis verkehrten zwar beide zur gleichen Zeit (2. Hälfte des 19. Jhdt.) in der gleichen (dannzumal noch blühenden) Gesellschaft. Und wiesen auch sonst viele Parallelitäten auf. Eine familiäre Bande ist aber nicht belegt. Kann allerdings auch nicht ausgeschlossen werden. Das Gleiche gilt für eine adlige Abstammung der Aperio-Bonellis. Schade, dass so ein Familien-Büchlein nur Fakten zu Verbindung und Trennung aufzählt. Und dabei alle Geschichten drum herum auslässt.
Weitere Fragen tauchen auf. Denn Stephan und Clementina Brändli hatten 7 Kinder. Wieso wussten wir nur von vieren? OK, die erstgeborene Tochter Anna-Maria verstarb mit 3 Jahren. Dennoch höre ich von ihr sowie von Rudolf und Albert das erste Mal. Dazu ist Ernst als siebtes Kind 1896 in Thalwil geboren (alle früheren in Trapezunt). Also ist die ganze Familie - inklusive Mutter - zwischen 1890 (Geburt meiner Grossmutter) und 1895 in die Schweiz zurückgekehrt (Dabei nehme ich mal an, dass die Geschichte mit dem gesunkenen Schiff - siehe Seite "Prolog" - stimmen könnte). Offensichtlich haben sich danach aber Vater und Mutter getrennt (wenn auch nicht offiziell geschieden!). Aber von Geschichten der Grossmutter weiss ich, dass sie 1901/1902 nur mit dem Vater, Stephanie und Ernst in Zürich gewohnt hat. Sie hat mir sogar das entsprechende Haus gezeigt. Die Mutter dürfte mit Rudolf, Albert und Margaretha nach Genf oder Lausanne gezogen sein. Vermutlich passte Französisch besser zu ihr als Schweizerdeutsch. Auf jeden Fall spielen deren Geschichten danach in der Westschweiz. Rudolf hat nach Bern, Albert eine Freifrau aus Hochsavoyen geheiratet. Maggie war liiert mit "Onkel Charlie" - einem Baron aus der Franche-Comté (Französischer Jura). Wobei ich erst jetzt feststelle, dass die beiden gar nicht verheiratet waren. Interessant auch, dass 2 Kinder adlige Partner fanden. Zu vermuten ist, dass die Mutter Zugang zu entsprechenden Kreisen hatte. Offen bleibt, was die 3 Kinder, die vom Vater betreut wurden, nach dessen Tod 1908 machten. Ernst hat wahrscheinlich in Zürich studiert, Stephanie und meine Grossmutter sind erst mal Richtung Osten abgehauen. Wohin und zu wem genau ist nicht dokumentiert. Stephanie hat später in Zagreb einen Arzt geheiratet. Die Schriften meiner Grossmutter - als sie sich 1911 in Zürich zur Ausbildung als Lehrerin anmeldete - kamen aus Bukarest.
Aber was ist jetzt mit den Ypsilantis? Was mit Adel? Alles nur Wunschkonzert meiner Mutter? Wieso haben dann Tante Maggie und indirekt auch meine Grossmutter - zumindest das mit dem Adel - bestätigt? Der Name Ypsilantis wurde ja von ihnen nie erwähnt. Dieser drängte sich einfach dadurch auf, dass es das einzige griechische Adelsgeschlecht mit Stammsitz in Trapezunt ist. Mehrere Antworten sind denkbar. So z.B. dass die Aperios aus Castro Gonio (heute Georgien) oder die Bonellis aus Malta adliger Herkunft sind. Auf jeden Fall werden die Bonellis mit der Gründung des Malteser Ordens (ursprünglich ein Ritter-Bund) in Verbindung gebracht. Eine spannende Version könnte auch lauten, dass meine Grossmutter ein Kuckuckskind war. Was für Vieles eine Erklärung liefern würde (für ihr exotisches Aussehen - slawischer als die Geschwister; für das grosse Schweigen rund um die Familiengeschichte; für die Familien-Rückkehr in die Schweiz; für die spätere Trennung der Eltern; für die Reise als Teenager nach Bukarest). Der Vater könnte, müsste aber nicht unbedingt ein Ypsilanti sein. Ich werde alle Optionen mit Helmut Jessl's Hilfe - auch anhand von Stammbäumen der Ypsilantis, aus deren Familiengeschichte übrigens einige uneheliche Kinder stammen - abgleichen.
Nebst diesen Klärungen wartet eine neue Aufgabe auf mich: herauszufinden, ob und wo mögliche bisher unbekannte Verwandte von mir existieren. Die Nachkommen meiner Grossmutter und von Onkel Ernst kenne ich. Bei Tante Maggie weiss ich, dass es keine gibt. Von der Existenz der Tante Stephanie habe ich zwar gehört (sie war die Lieblingstante meiner Mutter), allerdings ohne jede Ahnung von eventuellen Kindern. Die restlichen 2 Gross-Onkel sind für mich gerade mal aus dem Nirwana aufgetaucht. Was zuerst einsortiert und verdaut werden muss.