Madeira zeigt sich von seiner besten Seite. Strahlend blauer Himmel schon früh morgens. Wie angesagt. Gut, habe ich für mein heutiges Unternehmen, das das grösste meiner Madeira-Abenteuer werden soll, so lange gewartet. Zugegeben, ich habe auch immer noch darauf gehofft, nicht alleine gehen zu müssen. Jemanden zu finden, der mich begleitet. Schliesslich wird in allen Reiseführern darauf hingewiesen, dass diese Touren nicht harmlose Spaziergänge seien. Von Bergen, steilen Ab- und Aufstiegen auf glitschigem Terrain sowie einer Gesamtdauer von 4,5 Stunden sei hier die Rede. Nun - nicht mal ganz 14 Tage vor Ende meines Madeira-Aufenthaltes - muss ich die Gunst der Stunde nutzen. Und mich wohl oder übel in absoluter Eigenregie auf den Weg machen. Entsprechend plane ich sorgfältig. Einen kleinen Rucksack stellt mir Töger zur Verfügung. Darin packe ich Pullover, Regenjacke, Trinken und Proviant ein. Zudem werde ich eine Stunde der Tour dadurch sparen, dass ich vom Parkplatz auf der Paul da Serra bis zu den Casas do Rabaçal den Shuttle-Bus nehme. Was soll ich denn auch so viel Zeit auf einer Asphalt-Strasse vertrödeln. Mein Plan sieht vor, dass ich von Rabaçal aus erst mal zum Risco-Fall laufe. Und nur, wenn sich dies gut anfühlen sollte, auch noch einen Teil der oder die ganze Schlaufe nach den 25 Quellen unter die Füsse nehme. Vor der Abfahrt bespreche ich mit Töger noch, was er abends unternehmen kann, falls ich bis dahin nicht zurück sein sollte. Dann kann es los gehen.
Bei der Auffahrt zum Encumeada-Pass schattiert die Morgensonne die terrassierte Landschaft. Sodass man sich fast im Tessin fühlt. Von oben bis zum Windpark der Paul da Serra sind es noch etwa 10 und von da aus bis zum Parkplatz beim Wachturm der Wasserleitung (die das kostbare Nass vom regnerischen Norden zum trockenen Süden führt) nochmals 20 km. Kühe und Kälber sind auch schon da. Aber weit und breit kein Shuttle-Bus. Was mich leicht verwirrt. Ein Kalb schaut mich aus verwunderten Augen an. Wie wenn es mir sagen wollte: "Kannst du denn nicht lesen?" Ich schaue genauer hin. Und siehe da, die da stehende Litfass-Säule enthält hinter einer - allerdings sehr trüben - Scheibe tatsächlich die Information, wo man anrufen soll. Wer hätte das gedacht? Mein Anruf wird sofort abgehoben. Und der Ansprechpartner meint: "Jaja, er sei gerade unten am Abfahren und etwa in 10 Minuten da." Beim Runterfahren verstehe ich schnell, wieso die Strasse für den öffentlichen Verkehr gesperrt ist. Denn sogar die Wanderer müssen in eine Nische ausweichen, damit der Kleinbus passieren kann. So schmal ist sie. Von Kreuzen oder gar Wenden absolut keine Rede.
In der "Casa do Rabaçal" - einem romantischen Café - habe ich erst mal einen Chino mit Cigarillo verdient. Allerdings hätte ich besser einen der leckeren ausgestellten Kuchen bestellt. Den Kaffee kann man nämlich kaum geniessen. Und gerade mal mit gefärbtem Abwaschwasser vergleichen. Den frechen Buchfinken, die im Geäst der Bäume lauern, ist dies natürlich egal. Sie hüpfen auch auf meinem Tisch herum, um ja keinen Krümel - so es denn einen geben sollte - zu verpassen.
Dann mache ich mich auf den Weg. Und schnell grosse Erleichterung. Alles nicht so wild. Zumindest für geübte Berggänger. Die Risco-Levada (offene Wasserleitung - wie die Suonen im Wallis) schlängelt sich mit leichtem Auf und Ab einer Höhenkurve entlang. Und meist ist der Weg breit. Wenn auch mit vielen spitzen Steinen besetzt. Stolpern wird einem hier leicht gemacht. Der Hinweg zum über 100m hohen Wasserfall dauert aber nicht mal ganz eine halbe Stunde. Leider ist die Galerie, die hinter dem Wasserfall durchführt, gesperrt. Schnell entscheide ich mich, zusätzlich noch die 25 Fontes (Quelltopf mit 25 Quellen) in Angriff zu nehmen. Auch das stellt kein grösseres Problem dar. Klar ist der Einstieg (meist Treppen) steil. Und die rund 200m Abstieg müssen zum Schluss wieder hinauf bewältigt werden. Aber die 25-Fontes-Levada unten geht ebenfalls ohne grosses Auf und Ab einer Höhenkurve entlang. Und die gesamte Schlaufe ist nur gut 4km lang. Kann also in rund einer Stunde bewältigt werden. Mein Proviant (1 Mars, 2 Bananen, 500ml Isostar) hilft mir, alles ohne Komplikationen zu bewältigen. Schon um 14.45 Uhr erreiche ich wieder die Casas do Rabaçal. Der Shuttle-Bus steht gerade zur Abfahrt bereit und nimmt mich mit. Eigentlich wollte ich noch im Café zur Belohnung einen Kuchen essen. In der Zwischenzeit tummeln sich hier aber so viele Leute, dass mir die Lust vergeht. Und zudem ziehen von Norden her Wolken auf. Die ganz unfreundlich in den Bergen herumhängen. Auch schmerzen meine Fussgelenke und mein Rücken etwas. Sodass es mich zum Ausspannen nach Hause zieht. Ich bin ziemlich KO. Aber glücklich und zufrieden. Dieser prächtige Tag ist die Krönung meiner Madeira-Abenteuer!